Künstlerhaus Bethanien publication
Karin Schulze
NICHT WIRKLICH, ABER WAHRZu Den digitalen Welten von MANOLO BAUTISTA (D) Irgendwann muss es das Kristallstück im Kronleuchter über dem Hoteltresen richtig fad gefunden haben: Einchecken, Auschecken. Gähn. Mit einem Ruck jedenfalls löst sich der Glaskörper aus seiner Verankerung im Lüster über der Rezeption und macht sich auf zu einer Reise durch das ganze Haus. Er schwebt weg vom Tresen hin zum Aufzug, flitzt über Flure, durch Lüftungsanlagen, Schächte, quetscht sich durch die Löcher einer Waschmaschinentrommel, verführt im Vorübertaumeln die Eiswürfel an der Bar dazu, sich ebenfalls ein wenig in die Lüfte zu erheben. Und am Ende, schwups, linkt er sich wieder ein an seinem ursprünglichen Ort im Kristalllüster über der Rezeption. Imitation of Life (2007) heißt dieses Video des spanischen Künstlers Manolo Bautista. Auf der Suche nach neuen Formen visueller Repräsentation operiert Bautista in seinen Fotoarbeiten und Videos mit Animationen und anderen Mittlen der digitalen Bildbearbeitung. Für die Unerschiedlichsten Konstellationen von Fiktion und Wirklichkeit benützt er beispielsweise Software, die nicht nur simulierte Objekte nach seinen Vorstellungen bewegt, sondern die, weil sie das physikalische Verhalten von Dingen simulieren kann, diese so bewegt, wie sich reale Objekte tatsächlich verhalten würden. Diese technische Perfektion hindert Bautista allerdings nicht daran, die Dinge mitunter lustige Kapriolen schießen zu lassen, die nach den Regeln der Physik ausgeschlossen sind. So variiert sein Video Snooker Hotshots (2006) TV-Aufnahmen von einem Billardturnier so, dass Kugeln, wie von Geisterhand bewegt, im Kreise rollen. Oder sie nehmen, obwohl kein Queue und keine andere Kugel sie touchiert hat, Kurs auf das Loch in der Bande, als hätte sie nicht der physikalische Anstoß, sondern eine Art geistiger Motivationsschub zum Abgang verleitet. Etliche von Bautistas Fotoarbeiten beziehen ihren hohen atmosphärischen Reiz aus der räumlichen Dekontextualisierung von Dingen. Im Mittelpunkt von Dead on the Dance Floor II (2006) steht ein Rennboot samt behelmtem Fahrer, das in einem Raum über ein paar Spiegelfliesen zu schweben scheint. Eine andere zeigt ein Fahrrad, lässig abgestellt am Fuß eines Laternenpfahls, auf dem anstelle einer nüchternen Straßenlampe ein festlich glimmender Kronleuchter sitzt. In einer Reihe weiterer Arbeiten setzt sich Bautista ausgehend von Zoobesuchen mit der Virtualität der künstlich reproduzierten Lebensräume in Gehegen und Käfigen auseinander. Eine Aufnahme etwa zeigt einen aufwendig mit Kletterbaum und Seilen bestückten Käfig, in dem die künstlich reproduzierte Natur von einer ebenfalls künstlichen Bewohnerin –einer Stoffpuppe- ad absurdum geführt wird. Um ein bizarre Verhältnis von Natur und Kultur geht es auch in der Fotoarbeit Noche Americana (2006): Ein Wald, im Hintegrund der Mond oder eine blasse Wintersonne, davor ein Campingmobil und ganz vorne ein zugefrorenes Gewässer. Dort hockt ein Mann und häutet ein Stück Wild, während zwischen den Bäumen eine Schar von Pinguinen sein Treiben ruhig beäugt. Fast sieht es aus, als blicke man in das “Freimenschgehege” eines Wildlife-Parks, in dem Tiere, die eigentlich in ganz anderen Biotobei den Prozeduren seiner Nahrungsaufnahme studieren können. Der Titel der Arbeit aber weist noch auf eine andere Ebene. “Amerikanische Nacht” wird ein filmisches Verfahren genannt, in dem Nachtszenen bei Tageslicht gedreht warden, um durch spezielle Filter oder andere technische Verfahren künstlich eingedunkelt zu werden. Vor diesem Hintergrund erscheint das Wann dieser Szene –sonnenbeschienener Tag oder mondbeschienene Nacht –ebenso unklar wie der seltsame Auftritt der Pinguine. Dem Verhältnis von Natur und Künstlichkeit widmet sich Bautista auch in einer Reihe von Fotografien von 2004, bei McDonald’s-Signet die Hauptrolle spielt. San José zeigt es auf dem Dach eines alten, halb verfallenen und offensichtlich verlassenen Hauses in einer menschenleeren Einöde. Bei Paisaje ragt es nur noch etwas über den Wasserspiegel eines Baggersees heraus, in dem das zugehörige Gebäude schon abgesoffen ist. Und bei Las Negras versinken an einem weißen Strand unter dunklen Klippen die letzten Reste einer Burgerbude zwischen gleichmütig sonnenbadenden Menschen im Sand. Alle drei Arbeiten evozieren den Eindruck, dass sie zu einer Zeit entstanden sein müssten, da die Fastfood-Weltmacht schon seit Jahrzehnten vergessen ist und ihre Architekturen nur noch wie fahle Dinosaurierknochen aus der Erde ragen. Auf den ersten Blick wirken diese Erinnerungsbilder an eine mögliche Zukunft melancholisch, auf den zeiten stellt sich der Verdacht ein, dass Bautista dem Burger-Imperium, das längst zum Paradebeispiel einer uniformierenden Globalisierung geworden ist, hier gleich einem digital operierenden Voodoo-Magier eine wenig gedeihliche Zukunft an den Hals wünscht. Sowohl durch die technische Perfektion als auch durch die inhaltlichen Konstellationen wirken diese bilder dabei aber nicht vordergründig absurd, sondern wie die Dokumentation einer alternative Wirklichkeit, die sich durch einen anderen Verlauf von Naturgeschichte und Historie hätte ereignen können. Motivisch den McDonald’s-Untergangszenarios verwand und ebenso von ein wenig Schadenfreude durchweht ist das video The Loser (2004). Hauptfigur ist ein Astronaut. Er steckt in einem Raumanzug und rast mittels eines auf den Rücken geschnallten Raketenantriebs über die Oberfläche eines fernen Planeten, um am Ende am großen “M” eines dort einsam herumstehenden McDonald’s-Werbemasts zu zerschellen. Setzt man The Loser in Beziehung zum eingangs erwähnten Imitation of Life, so tritt die untergründig dunkle Tönung von Bautistas Kosmos zutage: Zum Helden taugt offensichtlich nicht länger der technisch hochgerüstete Mensch, der am Ende an seinem eigenen Weltraumschrott scheitert; zum Helden, der eine Odyssee erfolgreich zu überstehen vermag, taugt heute allenfalls noch ein komplett fühlloses, lupenrein geschliffenes Stück Glas. |
NOT REAL, BUT TRUE
|